In drei Konzerten und drei Workshops lotet das Musikfestival
am 17. und 18. Oktober im Lutherhaus und in der Kunsthalle Osnabrück die kreative Beziehung zwischen Komponist und Interpreten, Raum und Publikum aus.

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Als Vermittlungsprojekt greift faithful! die aktive musikalische Zusammenarbeit mit Schülern durch ästhetische Annäherung an graphische Partituren auf, die den jungen Akteuren, erst recht unter fachgemäßer Anleitung, einen spielerischen, kreativen und interpretatorischen Zugang zur Musik der Moderne ermöglicht.

Wer ist wichtiger – der Komponist oder der Interpret?

In der klassischen, auch „ernst“ genannten Musik steht fast immer der Komponist an oberster Stelle von Konzertprogramm und -plakat. Die Leistung des Interpreten wird oft weniger an seiner Originalität und Individualität gemessen, als vielmehr daran, wie genau seine Interpretation mit den vermeintlichen Wünschen des Komponisten übereinstimmt. Also daran, wie „getreu“ – oder, um den englischen Ausdruck zu benützen, wie „faithful“ – sie ist. Die Popmusik und viele exotische Musikkulturen stellen diesen Anspruch keineswegs. Die Forderung nach der „Treue“ musikalischer Interpretation ist eine geradezu kuriose Eigenart klassischer europäischer Musikkultur.

Als „getreu“ gilt die möglichst unverfälschte Wiedergabe des Notentextes unter Berücksichtigung der zeitgenössischen Aufführungspraxis. Um diese Treue zu garantieren, werden heute u.a. sogar historische Instrumente nachgebaut. Aber oft steht in den Noten nur ein kleiner Teil dessen, was das Gesamterlebnis des Konzertes, oder die Wiedergabe von Musik im Allgemeinen, ausmacht.
Schon die Anwendung und Ausführung barocker Verzierungen geht meist über den überlieferten Notentext hinaus. In der klassischen Konzertkadenz oder der graphischen Notation zeitgenössischer Komponisten wird zudem gerade die individuelle Erweiterung des Notentextes (z.B. durch Improvisation) vom Komponisten ausdrücklich gefordert und gewünscht. Viele Komponisten waren selbst die bedeutendsten Interpreten ihre Werke und nahmen bei deren Interpretation große Freiheiten wahr. Mangels der uns selbstverständlich gewordenen digitalen Reproduktion war dagegen ein nachweisbarer Vergleich der Interpretation schlichtweg nicht möglich.
So stellen sich die Fragen nach der Treue musikalischer Interpretation heute auf vielfältige Weise anders und immer wieder neu: Machen nicht auch Raumakustik und -atmosphäre, macht nicht auch das Publikum selber einen Teil der musikalischen Interpretation aus?
Und wie ließe sich deren „Treue“ garantieren?
Festival faithful! gibt diesen theoretischen Fragestellungen kreative und sinnliche Antworten, indem sie in ungewöhnlichen Konzertformaten vom Wandelkonzert bis hin zur DJ-Lounge Musik vom Barock bis Jazz zum Klingen bringen.

# Freitag, 17. Oktober 2014 – Lutherhaus

20.00 || Die fromme Helene

Text: Wilhelm Busch / Musik: Bernd Alois Zimmermann und Ensemble Megaphon

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Die fromme Helene

Die fromme Helene

„Das Gute – dieser Satz steht fest –
Ist stets das Böse, was man läßt!
Ei, ja! – Da bin ich wirklich froh!
Denn, Gott sei Dank! Ich bin nicht so!!“
Wilhelm Busch

Die gewitzte, zu neckischen und – manchmal – boshaften Streichen aufgelegte höhere Bürgertochter Helene soll in den Heiligen Stand der Ehe treten. Aus finanziellen Gründen hat man den viele Jahre älteren Fabrikbesitzer G.I.C. Schmöck für sie ausgewählt. Dadurch lässt sie sich aber durchaus nicht von einer Affäre mit ihrem Vetter Franz abhalten, welchem sie schon seit langem zugetan ist.

Wilhelm Busch (1832-1908) schrieb die satirische Bildgeschichte über bürgerliche und klerikale Doppelmoral im Jahre 1872. Die Fassung Bernd Alois Zimmermanns (1919-1970) entstand 1957 ursprünglich als Hörspiel für den Westdeutschen Rundfunk. Dazu fügte der aus der katholischen Eifel stammende Komponist originale Texte aus Buschs Geschichte mit eigenen witzigen und bildhaften Musikstücken zu einem musikalisch-literarischem Schelmenstück zusammen.

Die Schauspielerin Vroni Kiefer brennt ein schillerndes Sprachfeuerwerk zwischen Rezitation, Lesung und gespielten Szenen ab. Das Ensemble Megaphon bricht die regelmäßige Abfolge des Hörspiels auf und fügt mit instrumentalen, elektronischen und visuellen Mitteln spielerisch humorvolle und zeitgemäße Kommentare als Weitererzählung der Geschichte hinzu.
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MITWIRKENDE
Ensemble Megaphon Lenka Zupkova, Violine, künstlerische Leitung • Vlady Bystrov, Klarinette • Konstantin Raptis, Akkordeon • Andre Bartetzki, Live Elektronik • Willi Hanne, Schlagzeug • Tosh Leykum, Videoprojektion • Vroni Kiefer, Schauspiel • Mikael Honeseau, Regie • Schüler einer Schule aus Osnabrück

# Samstag, 18. Oktober 2014 – Kunsthalle Osnabrück

18.00 || Wandelkonzert

mit Séverine Ballon (Violoncello), Projektchor Osnabrück, Willem Schulz (Violoncello)

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Séverine Ballon, Violoncello

Séverine Ballon, Violoncello

In der ersten Hälfte des Konzertes erklingen drei Stücke, die für Séverine Ballon geschrieben wurden, von Thierry Blondeau, Rebecca Saunders und Trevor Bača, sowie die deutsche Uraufführung von dem baskischem Komponits Ramon Lazkano. In einer audio-visuellen Choreographie lässt Severine Ballon Kunst und Architektur mit zeitgenössischer Musik in Beziehung treten und zum Klingen bringen. Mit wechselnden Spielorten innerhalb der Räume des Museums setzt sie spezielle Akzente auf bestimmte Werke. Während der Hörer sich frei bewegen kann, werden Blick und Ohr befreit, um vielfältige Verständnismöglichkeiten der vorgestellten Kunstwerke entdecken zu können.

Willem Schulz, Violoncello

Willem Schulz, Violoncello

Die deutsche Uraufführung des Konzerts RAUMWANDEL von Willem Schulz ist eine Zusammenarbeit des Festivals faithful! mit dem Projektchor Osnabrück. In diesem ungewöhnlichen Cello-Konzert spielt der Chor die Rolle des Orchesters. Sowohl in kollektiven Formationen wie in Gruppierungen und auch in dezentralen Einzelstimmen bildet der Chor Klang-Räume, in denen sich der Solist bewegt. Raum und Bewegung werden musikalisch und choreografisch umgesetzt. Die Raumgebilde mutieren von einer gitterartigen Mauer über amorphe Wolken, individuelle Wege, dezentrale Punkte, dynamische Schwärme bis hin zu einer abstrakten Architektur. Thema von RaumWandel ist das Verhältnis eines Einzelnen zu der ihn umgebenden Gruppe.

Programm Teil 1
# Ramon Lazkano IBAIADAR 2013 Deutsche Erstaufführung
# Rebecca Saunders Solitude 2013
# Trevor Baĉa Traiettorie Inargentate 2013
# Thierry Blondeau Black bird 2013 Deutsche Erstaufführung

Mitwirkende
Séverine Ballon (Violoncello)
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Programm Teil 2
# Willem Schulz RaumWandel Konzert für Cello und Chor (2011)

Mitwirkende
Willem Schulz (Violoncello)
Projektchor Osnabrück

# Samstag, 18. Oktober 2014 – Lutherhaus

20.00 || MUSIK SLAM

mit Michaelis Consort – Barockensemble für künstlerische Forschung & The Faithful Jazz Workshop Band mit Matthias Schubert und Joachim Raffel

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Michaelis Consort Ensemble

Michaelis Consort Ensemble

Als spezialisiertes Ensemble für Barockmusik steht das Michaelis Consort der historischen Aufführungspraxis nahe, dicht sowohl am überlieferten Notentext als auch an seinen historischen Aufführungsbedingungen. Gleichzeitig erfordern die Werke von Nicola Matteis und Georg Philip Telemann große Anteile von Improvisation, machen in der Auswahl und Ausführung der zahlreichen Verzierungen viel individuelle Kreativität möglich und notwendig.Auch für The Faithful Jazz Workshop Band ist bei der Ausführung diverser Jazz-Standards und eigener Werke die spontane Improvisation ein selbstverständlicher Teil ihres Geschäfts.

Eine graphische Partitur des Komponisten Anestis Logothetis (1921-1994) steht im Mittelpunkt dieser außergewöhnlichen Begegnung. Der österreichische Komponist griechischer Abstammung war vielleicht einer der ersten Multi-Media-Künstler überhaupt: Bildende Kunst, Musik, Theater, Literatur – alles war für Logothetis Material, aus dem er geschöpft hat. Und alles war potentiell vieldeutig. „Polymorphie“ nannte er dieses Prinzip.
Wo wir das Foto eines Autobahnkreuzes sehen, sah Logothetis Klänge. Und versuchte, für seine Klänge wiederum neue Zeichen zu finden. So wurde er zum Pionier der musikalischen grafischen Notation, einer schriftlichen Darstellung von Musik, die sich keiner oder nur einiger Elemente der traditionellen Notenschrift bedient. Grafische Notation ist oft eine freie, vieldeutige Notationsart, deren Zeichen und Lesarten in einer Legende oder einem Textkommentar erklärt werden – und deren Ausführung eigene Kreativität erfordert.

Was auch immer die beiden unterschiedlichen Ensembles an diesem Abend auf Grundlage derselben grafischen Partitur zu Gehör bringen werden – es wird möglicherweise sehr unterschiedlich, in jedem Falle aber einzigartig und höchst individuell sein.

PROGRAMM
Michaelis Consort
# Nicola Matteis (1650-1698) / Diverse Bizzarie sopra la Vecchia Sarabanda o pur Ciaccona
# Georg Phillip Telemann (1681-1767) / Sonate metodiche Nr. 3 in e-moll (Grave, Vivace, Cunando und Vivace)

The Faithful Jazz Workshop Band
# Joachim Raffel / Introboption (hardboppig)
# Joachim Raffel / Radio Dreams

Michaelis Consort und The Faithful Jazz Workshop Band im MusikSLAM Wettbewerb
# Anestis Logothetis (1921-1994) / Porträts der Liebe (4) „Novae“ 1960 + Agglomeration (1960)

Michaelis Consort und The Faithful Jazz Workshop Band gemeinsam
# Anestis Logothetis (1921-1994) / Styx (1968) Komposition für variable Besetzung

MITWIRKENDE
Michaelis Consort
Uwe Ulbrich, Barockvioline • Felix Görg, Viola da Gamba • Arve Stavran, Cembalo

The Faithful Jazz Workshop Band
Studierende des Instituts für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Universität Osnabrück unter der Leitung von Joachim Raffel und Matthias Schubert

ab 21.30 Uhr || Gagarino

Lounge-Konzert mit Überraschung
DJ Gagarino
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Jürgen Grözinger, DJ Gagarino

Jürgen Grözinger, DJ Gagarino

Speziell an das junge Publikum richtet sich das DJ-Lounge-Konzert von DJ Gagarino alias Jürgen Grözinger. DJ Gagarino ist Jürgen Grözingers Synonym im DJ-Bereich. Der Name erinnert nicht zufällig an den Astronauten Juri Gagarin, den ersten Menschen im kosmischen Raum: Gagarinos DJ-Lounge-Konzept steht für Kommunikation, für ein Überwinden, ein Auflösen von Barrieren zwischen Gattungen, Sparten, Stilen. In seinen Sets bezieht Gagarino die Klänge des vorangegangenen Konzertes mit ein, stellt Verbindungen zwischen klassischer Musik und innovativen modernen elektronischen Tunes her: „Er spannt Bögen zwischen verschiedenen Gattungen, Zeiten, ästhetischen Ideen, Philosophien. Er ist Spezialist der extravaganten Mixturen. Grözinger will junges Publikum mit einbeziehen und die Steifheit und Distanziertheit des Konzertbetriebs überwinden.“ (Rainer Schlenz, Deutschlandfunk) Die Musiker des vorherigen Konzerts steigen mit ein.Mitwirkende
Jürgen Grözinger, Perkussion, DJ